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16.03.2020

Bombardierung vor 75 Jahren – Friedensbotschaft eines US-Bomberpiloten

Er steuerte einen der mehr als 600 US-Bomber, die bei der schwersten Bombardierung Oranienburgs am 15. März 1945 ihre tödliche Fracht über der Oranierstadt, die sich damals SS-Stadt nannte, abwarfen: US-Pilot Henry Chandler. Zur Gedenkfeier am 75. Jahrestag sollte er eine Rede halten, doch kurz zuvor verstarb der Hundertjährige in seiner Heimat Vermont/USA. Geblieben ist seine bei der Feier verlesene Rede – ein rührendes Vermächtnis für Versöhnung und gegen Krieg.

 

»Wenn ich über diese Ereignisse nachdenke, kommt immer wieder eine Botschaft zurück. Sie ertönt laut und deutlich. Krieg ist die Hölle. Krieg ist dumm. Aus dem Krieg kommt nichts Gutes.«  Henry Chandler

>> Zur Rede | >> Zum Video vom 15.03.2020

 

Als Henry Chandler das erste Mal deutschen Boden betritt, tut er das nicht freiwillig. Als Angehöriger der 447. Gruppe der 8. US-Luftwaffe, die von England aus Angriffe gegen Deutschland flog, nahm er am 15. März 1945 als Pilot eines B-17-Bombers an dem Angriff auf Oranienburg teil.

Auf dem Rückflug nach England wurde seine B 17 von einer Flak-Einheit im Raum Wittenberge abgeschossen. Henry Chandler konnte sich im letzten Moment aus dem Flugzeug befreien, bevor es in der Nähe von Perleberg aufschlug. Sechs Mann seiner Besatzung kamen bei dem Absturz ums Leben. Die letzten zwei Monate des Krieges verbrachte Chandler in deutscher Gefangenschaft.

2005 kam er wieder nach Deutschland und besuchte unter anderem die Absturzstelle seines Flugzeuges. Anlässlich des 75. Jahrestages der Bombardierung Oranienburgs hatte Henry Chandler eine Einladung von Bürgermeister Alexander Laesicke angenommen, als Ehrengast der Gedenkveranstaltung anlässlich dieses Tages in Oranienburg teilzunehmen.

Am 29. Februar 2020 ist Henry Chandler im Alter von 100 Jahren überraschend in seiner amerikanischen Heimat Vermont verstorben, so dass sein Besuch in Oranienburg nicht mehr stattfinden konnte. Er hinterließ vier Söhne und eine Tochter sowie zehn Enkelkinder.

Als Vermächtnis geblieben ist die Rede, die er auf der Gedenkveranstaltung am 15. März 2020 halten wollte – diese wurde im Rahmen der Gedenkveranstaltung verlesen. Hier dokumentieren wir seine Rede im Wortlaut.

 


 

Die Rede von Henry Chandler im Wortlaut  (Übersetzung aus dem Englischen)

 

Vielen Dank für die Einladung, heute hier zu sprechen. Ihr herzliches Willkommen und Ihre Gastfreundschaft sind der Grund, warum ich heute hier bin.

Es scheint, dass ich während meiner gesamten Lebensreise immer wieder in diese Stadt zurückkehre.

Vor 75 Jahren war ich das erste Mal hier. Ich war gekommen, um Chaos anzurichten und so viel Schaden wie möglich anzurichten. Es war eine schreckliche Sache. Und als mein Flugzeug abgeschossen wurde und ich mit dem Fallschirm auf dem Boden landete, traf mich einer von Ihnen und sagte zu mir: "Für dich ist der Krieg vorbei." Aber am wichtigsten war, dass Sie mich am Leben gelassen haben.

Vielen Dank für diesen einfachen Akt der Vergebung.

Nach diesem ersten Besuch habe ich über 50 Jahre lang versucht zu vergessen, was hier passiert ist und was ich hier getan habe. Dann ermöglichte mir eine eigenartige Wendung des Schicksals in meinem eigenen Leben, dass ich zurückkommen konnte.

Bei meinem zweiten Besuch im Jahr 2005 haben Sie mich mit Herzlichkeit und Freundlichkeit begrüßt. Sie haben mir Informationen darüber gegeben, was hier vor so langer Zeit passiert ist. Ich habe vom Schicksal meiner Crew erfahren, die den Absturz nicht überlebt hat. Ich erfuhr von den Auswirkungen der Bombenangriffe – über die Ziele und die durch die Angriffe verursachte umfassende Zerstörung. Ich erfuhr auch von den langfristigen Schäden, die durch die nicht explodierenden Bomben verursacht wurden.

Seltsamerweise hat mich diese Erfahrung befreit. Sie hob ein Gewicht von meinen Schultern und beseitigte eine Wolke um meinen Kopf. Ja, ihr habt mir das Geschenk des Wissens gegeben; Wissen über das Schicksal meiner Besatzung; Wissen über das, was hier passiert ist; und Wissen darüber, wie Sie wieder aufgebaut, sich wieder verbunden und wieder erholt haben. Und Sie gaben mir eine Neubelebung meines Lebens, indem Sie mir ermöglicht haben, mir selbst zu vergeben. Was für ein tolles Geschenk. Ich danke Ihnen sehr.

Wenn ich über diese Ereignisse nachdenke, kommt immer wieder eine Botschaft zurück. Sie ertönt laut und deutlich. Krieg ist die Hölle. Krieg ist dumm. Aus dem Krieg kommt nichts Gutes.

Ich habe jetzt gesehen und sehe noch, dass Krieg schreckliche Dinge beenden kann. Aber Krieg ist nicht Teil des Heilungsprozesses. Es ist nicht Teil der menschlichen Verbindung und des menschlichen Fortschritts.

Was Teil der menschlichen Verbindung und des menschlichen Fortschritts ist, ist, dass es inmitten schrecklicher Dinge Handlungen menschlicher Güte und Vergebung gibt.

Es begann mit der einfachen Aussage „Für dich ist der Krieg vorbei“. Es wurde 2005 mit „Lassen Sie sich Ihr Flugzeug zeigen“ fortgesetzt und endet heute für mich mit „Wir möchten, dass Sie Ehrengast unserer Gedenkveranstaltung zum 75-jährigen Jubiläum sind.“ Ich habe die Samen der Güte und der menschlichen Verbindung alle drei Male gesehen, bei denen ich hier war. Bitte schauen Sie sich um und überzeugen Sie sich selbst von den Früchten die daraus entstanden sind. Sie vergessen nicht die Vergangenheit, aber Sie umarmen die Zukunft durch Freundlichkeit und Vergebung.

So werden wir gemeinsam eine Wiederholung der Ereignisse von vor 75 Jahren verhindern. Und so können wir gemeinsam der gesamten Menschheit helfen, ihr volles Potenzial auszuschöpfen.

Krieg und Gewalt haben mich vor 75 Jahren hierher gebracht. Liebe und Vergebung haben mich heute zurückgebracht. Danke für dieses Geschenk. Gott segne Sie.

 

>> Die englische Originalversion zum Download als PDF-Datei

Wir sagen Danke!

 


 

Video der Gedenkfeier  von Rick Minnich

 

Der US-amerikanische und in Berlin lebende Filmemacher Rick Minnich hat die Gedenkveranstaltung am 15. März 2020 in Oranienburg, die schon im Zeichen der aufkeimenden Corona-Pandemie stand, filmisch begleitet und auch einige Meinungen von Teilnehmenden eingefangen.

 

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Videobotschaft von Henry Chandler nach Oranienburg  (Englisch, 2016)

 

Der Filmemacher Rick Minnich traf im Rahmen der Dreharbeiten zu seinem Film »Die Bombenjäger« über die explosive Erblast Oranienburgs auch Henry Chandler in seinem Zuhause in Vermont/USA. Dieser richtete eine Botschaft an die Oranienburger. 2005 hatte er die Stadt besucht.

 

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