Seiteninhalt

Exkursion und Vortrag: Die lebensreformerische Obstbausiedlungsgenossenschaft in Eden

Datum:

07.07.2024

Uhrzeit:

10:00 Uhr bis 13:00 Uhr

Ort:

Treffpunkt: An der Festwiese / Struveweg 501; Siedlungsgenossenschaft Eden

Ortschaft:

Oranienburg

Kosten:

30,00 €
20,00 € (ermäßigt) inkl. Führung, Vortrag und Mittagessen (Infos s. unten)

Termin exportieren

 

Exkursion und Vortrag im Rahmen der 'Fachtagung »Sich fügen heißt lügen« – Erich Mühsam in Oranienburg' in Oranienburg-Eden.

Treffpunkt: An der Festwiese /Struveweg 501; Siedlungsgenossenschaft Eden: Aufteilung in Gruppen; Voranmeldung erbeten: anmeldung@muehsam-in-oranienburg.info

Alle Veranstaltungen der Fachtagung (4. bis 7. Juli 2024) in Oranienburg können auch einzeln besucht werden.

 

Exkursion: Archiv AG der Eden eG - Führungen durch die Eden-Ausstellung und über das historische Gelände und Vortrag über die Berührungen von Erich Mühsam und Eden. (Aufteilung in Gruppen)

Teilnahmegebühr: 30,00 € (ermäßigt 20,00 €). Die Teilnahmegebühr umfasst: Führung durch "Eden"-Ausstellung, Führung durch die "Eden"-Siedlung, Vortrag "Erich Mühsam: Berührungspunkte mit der Obstbaugenossenschaft Eden" und ein Mittagessen.

 

Führung  Die lebensreformerische Obstbausiedlungsgenossenschaft in Eden

Wappen Eden
Wappen Eden

Die in Oranienburg liegende Siedlung Eden wurde am 28. Mai 1893 von 18 Berliner Vegetariern als erste vegetarische Siedlung in Deutschland unter dem Namen Vegetarische Obstbau-Kolonie Eden e.G.m.b.H. begründet. Sie lag 3 km vom Bahnhof Oranienburg, der nördlichsten S-Bahn-Station von Berlin entfernt, auf einer mageren märkischen Schafsweide von 22 Hektar. Durch mehrfachen Zukauf hat sie seit 1921 eine Größe von 120 Hektar. Dier Gründer wollten sich und ihre Familien vom eigenen Grundstück vegetarisch ernähren. Als nach wenigen Jahren die Erträge größer waren als der Eigenbedarf, verkaufte man die Überschüsse auf verschiedenen Berliner Märkten. Man gründete einen Obstverwertungsbetrieb und beliefert mit den Erzeugnissen Reformhäuser und Einzelpersonen, nicht nur in Berlin, sondern in ganz Deutschland - mit eigenen Lieferwagen oder auf dem Postweg. Dazu gründete man in Eden eine eigene, selbstfinanzierte Postagentur.

In der ersten Ausbaustufe des Projektes entstanden 79 Gärten, auf denen Heimstätten (Wohngebäude) errichtet wurden. Bis zum Jahr 1900 wurden in der Siedlung 15.000 Obstbäume, 50.000 Beerensträucher, 3.000 Haselnusssträucher, 200.000 Erdbeerpflanzen und 20.000 Rhabarberstauden gezählt. Zur Genossenschaft gehörte neben dem Herstellungsbetrieb eine Schule, die Edener Siedlungsbank, daneben gab es einen Kindergarten, ein Konsumgeschäft und mehrere Handwerksbetriebe. Zwischen 1898 und 1900 wurden mehrere Bauten mit einem von Gustav Lilienthal erfundenen Ein-Kammer Zement-Hohlstein errichtet. Darunter eine Gemeinschaftsunterkunft für „Neu-Edener“, eine Pension, die später zum Hotel umgebaut wurde und mehrere Siedlerhäuser. Erfolgreich war die Vermarktung der naturreinen Obstprodukte wie Edener Marmeladen, Obst- und Gemüsesäfte, Edener Fleischersatz „Gesunde Kraft“ und die in Eden erfundene Pflanzenmargarine über die Reformhäuser. Anregungen kamen ebenso aus Ideen, die in Friedrichshagener Dichterkreis zirkulierten. Ein entschiedener Förderer war der Soziologe und Genossenschaftssozialist Franz Oppenheimer, der auch das Siedlungsprojekt Bärenklau bei Velten begleitete. Zu den Vorstandsmitgliedern der Genossenschaft gehörte Paul Schirrmeister, eine der führenden Persönlichkeiten der Lebensreform. Der Freiwirtschaftler Silvio Gesell lebte mit Unterbrechungen hier. Die Siedlung öffnete sich nicht nur der Lebensreformbewegung, sondern auch völkischen und antisemitischen Tendenzen. So wurde 1916 erklärt, dass zum Siedeln im Sinne der Siedlung eine „deutsch-völkische Gesinnung“ Voraussetzung sei, zu welcher wiederum nur „deutsches Ariertum“ befähige. Deshalb blieb die Siedlung durch den NS-Staat unbehelligt. Andererseits hat sie während der NS-Zeit mehrere ihrer Jüdischen Siedler mit Hilfe des Vorstandes beschützen können. 1938 lebten in Eden 395 Siedler mit ihren Familien, insgesamt etwa 1.300 Menschen. Nach dem 2. Weltkrieg erlebte Eden wieder einen Aufschwung. 1950 gründete die Eden-Genossenschaft mit 2 Partnern einen Tochterbetrieb, der in Bad Soden im Taunus angesiedelt wurde, die EDEN-Waren GmbH, die sich sehr erfolgreich entwickelte und die Reformhäuser in der BRD belieferte. 1972 wurde der Mutterbetrieb in Oranienburg verstaatlicht. Den Antrag auf Rückübertragung 1990 beantwortete die Treuhandanstalt mit der endgültigen Stilllegung des Betriebes durch Entsorgung des Maschinenbestandes. 1990 verkauften die Westdeutschen Gesellschafter ohne Zustimmung der Muttergesellschaft in Eden den Tochterbetrieb in Bad Soden. Heute leben in Eden etwa 1.600 Menschen vom Kind bis zum fast 100-jährigen und es gibt immer noch einen Kindergarten, eine Schule, Ärzte, Physiotherapie, verschieden Handwerksbetriebe und viele Edener, die Ihre Gärten mit Liebe pflegen, um ihr eigenes Obst und Gemüse essen zu können.

DLF-Beitrag unter: https://www.deutschlandfunkkultur.de/125-jahre-lebensreformsiedlung-eden-der-traum-vom-100.html

 

Vortrag  Erich Mühsam: Berührungspunkte mit der Obstbaugenossenschaft Eden.

(Gustav Landauer Initiative – Vortrag)

Während Erich Mühsam die Gruppe „Tat“ des Sozialistischen Bundes als Gruppenwart in München organisierte, bildete sich in Eden um den Schuhmacher Karl Thomys die Gruppe „Grund und Boden“ zur Vorbereitung eines eigenen Siedlungsprojekts. Auf dem Rundgang stellen wir die Mitglieder der Edener Gruppe und ihre Aktivitäten vor. Hierzu gehörte auch der Vertrieb des „Sozialist“ in Eden, der von Gustav Landauer herausgegebenen Zeitung. Die von Erich Mühsam beigesteuerten Gedichte tragen wir am historischen Ort vor.

 
Die Gustav Landauer Initiative gründete sich 2015 nach der Veröffentlichung der umfangreichen politischen Biografie von Tilman Leder, die die herausragende Bedeutung Landauers und seines Umfelds für die beginnende Moderne herausarbeitete. Zu den zahlreichen Projekten gehören u. a. eine mittlerweile in vielen Städten gezeigte Ausstellung über Leben und Werk, das Denkmalprojekt in Berlin-Kreuzberg, biografische Arbeiten darunter über Agnes Reinhold und Berthold Cahn, die Herausgabe der Notizbücher von Erich Mühsam und die Forschungen zu Frauen in der frühen anarchistischen Bewegung. In Berlin werden Rundgänge auf den Spuren der libertären Bewegung angeboten, in München zur Geschichte der Räterepublik. Die Initiative dokumentiert historische Orte und Zeugnisse, digitalisiert historische Veröffentlichungen und berät bei Forschungsprojekten.
 

 


Die Ausstellung »Sich fügen heißt lügen« ist vom 21.06. bis 27.07.2024 (jeweils Mo. bis Fr. 9:00–18:00 Uhr) im Verwaltungstrakt von Schloss Oranienburg (Haus I, Havelflügel, 2. OG) zu sehen. Sie gibt auf über 40 Tafeln Aufschluss zu Leben und Werk des anarchistischen Schriftstellers. Eintritt frei. ¬
 

Programmübersicht »Erich Mühsam in Oranienburg«













Über Erich Mühsam

Über Erich Mühsam
Erich Mühsam: »Sich fügen heißt lügen«
Erich Mühsam: »Sich fügen heißt lügen«

Am 6. April 1878 wurde Erich Mühsam in Berlin geboren und wuchs später in Lübeck auf. Das Gymnasium suspendierte ihn 1896 wegen „sozialdemokratischer Umtriebe“. Es folgte eine Ausbildung zum Apotheker, dem Beruf des Vaters. Um 1900 entfloh er dieser bürgerlichen Enge und zog nach Berlin. Dort arbeitete er als freier Schriftsteller. Er schrieb für Zeitschriften und tauchte immer tiefer in die anarchistische Bewegung ein. Es folgten Wanderjahre, die ihn u.a. zu der alternativen Gemeinschaft auf dem Monte Verita bei Ascona führten. Über die lebensreformerische Bewegung hatte er auch Kontakt mit der Siedlung Eden in Oranienburg. 1909 zog er nach München, wurde Teil der Schwabinger Boheme und gab die Zeitschrift „Kain“ heraus. Mühsam heiratete 1915 Kreszentia („Zenzl“) Elfinger. In der Münchner Räterepublik 1918/19 waren Gustav Landauer und er entscheidende Akteure. Von der Reaktion verhaftet setzte er sich in der Festungshaft kritisch mit den Revolutionsereignissen und dem Marxismus auseinander. Nach seiner Entlassung Ende 1924 versuchte er im Berlin der Weimarer Republik vergeblich, linke Kräfte für eine gesellschaftliche Revolution und gegen den aufkommenden Faschismus zu bündeln.

Als jüdischer Intellektueller und Anarchist wurde er im Februar 1933 eines der ersten Opfer der Nationalsozialisten. Mühsam veröffentlichte zahlreiche Gedichtbände, Theaterstücke, und politische Aufsätze.

Erich Mühsams Martyrium

Vom Polizeigefängnis Lehrter Straße aus, in dem er nach seiner Verhaftung am Morgen nach dem Reichstagsbrand in sogenannter „Schutzhaft“ festgehalten wurde, begann sein 17-monatiger Leidensweg. Im April wurde er mit anderen politischen Gefangenen in das ehemalige Zuchthaus Sonnenburg bei Küstrin, das mittlerweile von der SA als KZ genutzt wurde, überführt. Misshandlungen und Demütigungen waren hier an der Tagesordnung. Anfang Juni 1933 erreichte Zensl durch Protest die Verlegung Erichs ins Zuchthaus Plötzensee in Berlin. Hier wurde er zwar in Einzelhaft gehalten, aber es wurde ihm gestattet, ein Tagebuch zu führen und weiter an seinem Roman „Ein Mann des Volkes“ zu arbeiten. Mit einer von Hermann Göring erlassenen neuen Verordnung, die eine Reihe von Verschärfungen für politische Gefangene vorsah, fand die Zeit der „verhältnismäßigen Ruhe“ in Plötzensee ein jähes Ende. Das Tagebuch und das Romanmanuskript wurden beschlagnahmt und Mühsam am 8. September in das alte Zuchthaus Brandenburg, welches mittlerweile von den Nationalsozialisten in ein KZ umgewandelt wurde, überführt.

Augenzeugen berichteten später von viehischen Misshandlungen, denen er hier ausgesetzt war. Dokumentiert sind diese in der 1935 in Paris erschienenen Broschüre „Der Leidensweg Erich Mühsams“. Anfang Februar 1934 kam Mühsam mit einem größeren Transport Gefangener von Brandenburg in das KZ Oranienburg. Für das KZ wurde das Gelände der alten Brauerei (Berliner Straße) genutzt. Unterhalten wurde es von SA-Männern der Standarte 208. 

Anfang Juli übernahmen SS-Männer u.a. aus Bayern das Kommando. Am Nachmittag des 9. Juli wurde Erich Mühsam überraschend gerufen, er sollte ein Paket nach Zimmer 17, dem Büro des Lager-Adjutanten Ehrath, bringen, einem SS-Sturmführer aus München, der seinen Namen aus der Münchner Räterepublik kannte. Mühsam lieferte wie befohlen das Paket ab, drehte sich um und befand sich schon wieder an der Tür, als er kurz hintereinander zweimal seinen Namen rufen hörte. Er wandte sich um, konnte aber wegen seines schlechten Gehörs nicht gleich verstehen, was der SS-Mann von ihm wollte. Beim Wiederholen hörte er die Worte, die sein Todesurteil waren: „Mir gehm dir 48 Stunden Zeit, di umzubringen, und wann’s du’s dann net tuäst, wer’n ma scho nachhelfen.“ Mühsam sagte zu einigen Mithäftlingen: „Was auch passiert, die werden nicht erleben, dass ich mir selbst das Leben nehme.“ Nach dem Abendessen ging er allein auf dem Hof umher. 

Kurz vor der Schlafenszeit erhielt er den zweiten ungewöhnlichen Auftrag dieses Tages: Er sollte eine SS-Uniform und ein Paar Schaftstiefel reinigen. Beim Nachtappell war er nicht anwesend. Häftlinge sahen in der Nacht das Licht auf dem Hof zweimal an- und ausgehen. Am Morgen fand man Erich Mühsam im vorletzten Abteil des Klosetthauses an einem Balken erhängt. Ein Häftling berichtete später, dass der Knoten so kunstvoll geknüpft war, wie es Mühsam, der kaum die Schuhsenkel zuschnüren konnte, niemals fertiggebracht hätte. Sein Zwicker lag auf dem Betonboden, seine Fäuste waren geballt, und die Füße berührten den Klosettdeckel. Die SS hatte ihn ermordet.
Am 16. Juli wurde der Leichnam auf dem Waldfriedhof Dahlem zur letzten Ruhe gebettet. Trotz des NS-Terrors fanden sich 20 Menschen die Erich Mühsam das letzte Geleit gaben. Zenzl Mühsam selbst nahm nicht an der Beerdigung teil. Sie überquerte an diesem Tag illegal die Grenze zur Tschechoslowakei.

 

 

www.muehsam-in-oranienburg.info 

 


Veranstalter und Unterstützer der Veranstaltungsreihe zum 90. Todesjahr von Erich Mühsam
Veranstalter und Unterstützer der Veranstaltungsreihe zum 90. Todesjahr von Erich Mühsam