Vortrag: Als Leichenfresser auf dem »Monte Verita« - Erich Mühsam in der lebensreformerischen Siedlung bei Ascona
05.07.2024
19:30 Uhr
Kultursaal im Oranienwerk
Oranienwerk
Kremmener Straße 43
16515 Oranienburg
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Oranienburg
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Vortrag im Rahmen der 'Fachtagung »Sich fügen heißt lügen« – Erich Mühsam in Oranienburg' von Klaus Trappmann mit Textpassagen aus „Ascona“, gelesen von Manuel Harder.
Alle Veranstaltungen der Fachtagung (4. bis 7. Juli 2024) in Oranienburg können auch einzeln besucht werden.
Erich Mühsam setzte sich in dieser - wie er es selbst nannte – 1905 erschienenen "Broschüre" mit der Lebensgemeinschaft in Ascona (Schweiz) auf dem Monte Verità auseinander.
Angetrieben von dem Wunsch, sich aus der Gesellschaft der Jahrhundertwende auszuklinken und ein "einfaches" Leben leben zu wollen, gründete eine Hand voll junger, frustrierter Menschen auf dem Berg Monte Verità eine „sozial-vegetarische-kommunistische“ Lebensgemeinschaft. Im Laufe ihres Bestehens wird sie von den namhaftesten Intellektuellen jener Jahre als "Fluchtpunkt" aus dem hastigen Europa besucht: u.a. C. G. Jung, Otto Gross, Hermann Hesse, Carl und Gusto Gräser oder aber auch Erich Mühsam, dem Anarchisten.
Wer denkt, der Text schwingt ein Loblied auf die Lebensgemeinschaft, die nun nach anarchistischen Gesichtspunkten herrschaftslos und frei jeder Verpflichtungen miteinander lebt, der irrt sich. Mit bissig-ironischem Ton kritisiert Mühsam die intellektuell-ideologische Unzulänglichkeit der Monte Verità-Mitstreiter immer wieder. Mühsam kritisiert an unzähligen Stellen das fehlerhafte, in sich unschlüssige Lebenskonzept der Aussteiger. Ein Punkt bspw. beschäftigt ihn länger: Die Einstellung der Vegetarier gegenüber den Nicht-Vegetariern, die letzteren seien "Leichenfresser" - zu Recht bemerkt Mühsam, dass auch das Obst- und Gemüse-Essen "Leichenfrass" ist, denn auch hier handele es sich doch einstmals um Lebewesen, die nun durch den Menschen des Lebens beraubt, also gegessen würden.
Klaus Trappmann, geb. 1948 in Wuppertal. Lebt in Berlin als Lehrer an der Schule für Erwachsenenbildung, Autor und Realisator von Ausstellungen, Radio- und Filmdokumentationen. Hrsg. von „Landstraße, Kunden, Vagabunden“ 1980 im gerhardt verlag und „Wohnsitz: Nirgendwo“ 1982 im Verlag Frölich & Kaufmann. Autor / Realisator der Filmdokumentation „Landstraße, Kunden, Vagabunden“ in Zusammenarbeit mit Hagen Müller-Stahl. SFB 1982 und „Tango. Ein trauriger Gedanke, den man tanzen kann“. SFB 1984. Hrsg. von „Transit Berlin. Griechenland und Jugoslawien in Berlin“. Künstlerhaus Bethanien 1987. Mitarbeit an der Film-Dokumentation „Berlin Rebel Highschool“ 2017. Mitarbeit an der Veranstaltung „Wiedersehen in Tunix“ im Hau 2018. Mitglied in der AGG und im Nutzerbeirat Gleisdreieck. Erster Vorsitzender der Dauerkolonie Potsdamer Güterbahnhof
Manuel Harder, geboren in Valparaíso (Chile), ist in Bremen aufgewachsen. Nach Studium (Theaterwissenschaften, Neue Deutsche Literatur) und Schauspielausbildung (Athanor Akademie bei Prof. David Esrig) war er Ensemblemitglied am Salzburger Landestheater, am Schauspiel Dortmund, am Centraltheater Leipzig, am Schauspiel Frankfurt sowie am Schauspiel Stuttgart. Gastengagements u. a. an der Schaubühne am Lehniner Platz. Er realisierte diverse Inszenierungen, Stückentwicklungen, Uraufführungen (u. a. Texte von Arthur Rimbaud, Else Lasker Schüler, Carsten Brandau, Guillaume Paoli, Bonaventura) sowie Recherchen und internationale Austauschprojekte in Dortmund, Leipzig, Wien, Stuttgart und Chişinau (Rep. Moldau). Er ist Schauspieldozent u. a. an der Hochschule für Musik und Theater Felix Mendelssohn Bartholdy Leipzig und der Kunstuniversität Graz. Seit der Spielzeit 2017/18 ist Manuel Harder Ensemblemitglied am Deutschen Theater Berlin.
Die Ausstellung »Sich fügen heißt lügen« ist vom 21.06. bis 27.07.2024 (jeweils Mo. bis Fr. 9:00–18:00 Uhr) im Verwaltungstrakt von Schloss Oranienburg (Haus I, Havelflügel, 2. OG) zu sehen. Sie gibt auf über 40 Tafeln Aufschluss zu Leben und Werk des anarchistischen Schriftstellers. Eintritt frei. ¬
Programmübersicht »Erich Mühsam in Oranienburg«
Vortrag: Erich Mühsam - Literat, Anarchist, Bürgerschreck
„Sich fügen heißt lügen“ heißt es in einem vielzitierten Gedicht des deutsch-jüdischen Literaten Erich Mühsam. Diese Worte sind mehr als nur ...Führung durch die Erich-Mühsam-Ausstellung
Im Rahmen der 'Fachtagung »Sich fügen heißt lügen« – Erich Mühsam in Oranienburg' wird zu einer Führung durch die gleichnamige Ausstellung ...Führung durch die Gedenkstätte Sachsenhausen
Im Rahmen der 'Fachtagung »Sich fügen heißt lügen« – Erich Mühsam in Oranienburg' wird zu einer Führung durch die Gedenkstätte und ...Vortrag: Erich Mühsams KZ-Haftzeit
Im Rahmen der 'Fachtagung »Sich fügen heißt lügen« – Erich Mühsam in Oranienburg' hält der Historiker Wolfgang Haug einen Vortrag zu ...Podiumsdiskussion: Mühsames Erinnern
Im Rahmen der 'Fachtagung »Sich fügen heißt lügen« – Erich Mühsam in Oranienburg' wird zu einer Podiumsdiskussion mit Fachleuten und Politikern ...Vortrag: »Was wir besitzen, kann nie verlorengehen.« - Die Lebensgeschichte von Zensl Mühsam
Vortrag im Rahmen der 'Fachtagung »Sich fügen heißt lügen« – Erich Mühsam in Oranienburg' von Uschi Otten zur Lebensgeschichte von Zensl ...Vortrag: »Sozialismus ist die Rückkehr zur natürlichen, abwechslungsvollen Verbindung aller Tätigkeiten.« Gustav Landauer, der »Sozialistische Bund« und Eden
Vortrag im Rahmen der 'Fachtagung »Sich fügen heißt lügen« – Erich Mühsam in Oranienburg' von Siegbert Wolf über Gustav Landauer, den ...Vortrag: Als Leichenfresser auf dem »Monte Verita« - Erich Mühsam in der lebensreformerischen Siedlung bei Ascona
Vortrag im Rahmen der 'Fachtagung »Sich fügen heißt lügen« – Erich Mühsam in Oranienburg' von Klaus Trappmann mit Textpassagen aus „Ascona“, ...Vortrag: Die Notizbücher von Erich Mühsam
Vortrag der Gustav Landauer Initiative im Rahmen der 'Fachtagung »Sich fügen heißt lügen« – Erich Mühsam in Oranienburg'. Alle Veranstaltungen der ...Vortrag: »Das eigene Wohl verpackt im Wohle der Menschheit.« - Silvio Gesell, Erich Mühsam und Eden
Vortrag von Dr. Siegbert Wolf im Rahmen der 'Fachtagung »Sich fügen heißt lügen« - Erich Mühsam in Oranienburg'. Alle Veranstaltungen der ...»Sich fügen heißt lügen!« - Gedenkdemo zum 90. Todestag Erich Mühsams
15:00 Uhr: Demonstration ab Bahnhofsplatz / 16:00 Uhr: Musik, Theater und Redebeiträge, Bühne gegenüber vom Gedenkort KZ Oranienburg, Berliner Straße Vor ...»Sich fügen heißt lügen!« - Gedichte Erich Mühsams übersetzt in Gesang
Gedichte von Erich Mühsam übersetzt in Akkordeon und Gesang von Isabel Neuenfeldt. »'Es schuf mir einen Klangteppich', singt Isabel Neuenfeldt, ...Exkursion und Vortrag: Die lebensreformerische Obstbausiedlungsgenossenschaft in Eden
Exkursion und Vortrag im Rahmen der 'Fachtagung »Sich fügen heißt lügen« – Erich Mühsam in Oranienburg' in Oranienburg-Eden. Treffpunkt: An der Festwiese ...Über Erich Mühsam
Über Erich Mühsam
Am 6. April 1878 wurde Erich Mühsam in Berlin geboren und wuchs später in Lübeck auf. Das Gymnasium suspendierte ihn 1896 wegen „sozialdemokratischer Umtriebe“. Es folgte eine Ausbildung zum Apotheker, dem Beruf des Vaters. Um 1900 entfloh er dieser bürgerlichen Enge und zog nach Berlin. Dort arbeitete er als freier Schriftsteller. Er schrieb für Zeitschriften und tauchte immer tiefer in die anarchistische Bewegung ein. Es folgten Wanderjahre, die ihn u.a. zu der alternativen Gemeinschaft auf dem Monte Verita bei Ascona führten. Über die lebensreformerische Bewegung hatte er auch Kontakt mit der Siedlung Eden in Oranienburg. 1909 zog er nach München, wurde Teil der Schwabinger Boheme und gab die Zeitschrift „Kain“ heraus. Mühsam heiratete 1915 Kreszentia („Zenzl“) Elfinger. In der Münchner Räterepublik 1918/19 waren Gustav Landauer und er entscheidende Akteure. Von der Reaktion verhaftet setzte er sich in der Festungshaft kritisch mit den Revolutionsereignissen und dem Marxismus auseinander. Nach seiner Entlassung Ende 1924 versuchte er im Berlin der Weimarer Republik vergeblich, linke Kräfte für eine gesellschaftliche Revolution und gegen den aufkommenden Faschismus zu bündeln.
Als jüdischer Intellektueller und Anarchist wurde er im Februar 1933 eines der ersten Opfer der Nationalsozialisten. Mühsam veröffentlichte zahlreiche Gedichtbände, Theaterstücke, und politische Aufsätze.
Erich Mühsams Martyrium
Vom Polizeigefängnis Lehrter Straße aus, in dem er nach seiner Verhaftung am Morgen nach dem Reichstagsbrand in sogenannter „Schutzhaft“ festgehalten wurde, begann sein 17-monatiger Leidensweg. Im April wurde er mit anderen politischen Gefangenen in das ehemalige Zuchthaus Sonnenburg bei Küstrin, das mittlerweile von der SA als KZ genutzt wurde, überführt. Misshandlungen und Demütigungen waren hier an der Tagesordnung. Anfang Juni 1933 erreichte Zensl durch Protest die Verlegung Erichs ins Zuchthaus Plötzensee in Berlin. Hier wurde er zwar in Einzelhaft gehalten, aber es wurde ihm gestattet, ein Tagebuch zu führen und weiter an seinem Roman „Ein Mann des Volkes“ zu arbeiten. Mit einer von Hermann Göring erlassenen neuen Verordnung, die eine Reihe von Verschärfungen für politische Gefangene vorsah, fand die Zeit der „verhältnismäßigen Ruhe“ in Plötzensee ein jähes Ende. Das Tagebuch und das Romanmanuskript wurden beschlagnahmt und Mühsam am 8. September in das alte Zuchthaus Brandenburg, welches mittlerweile von den Nationalsozialisten in ein KZ umgewandelt wurde, überführt.
Augenzeugen berichteten später von viehischen Misshandlungen, denen er hier ausgesetzt war. Dokumentiert sind diese in der 1935 in Paris erschienenen Broschüre „Der Leidensweg Erich Mühsams“. Anfang Februar 1934 kam Mühsam mit einem größeren Transport Gefangener von Brandenburg in das KZ Oranienburg. Für das KZ wurde das Gelände der alten Brauerei (Berliner Straße) genutzt. Unterhalten wurde es von SA-Männern der Standarte 208.
Anfang Juli übernahmen SS-Männer u.a. aus Bayern das Kommando. Am Nachmittag des 9. Juli wurde Erich Mühsam überraschend gerufen, er sollte ein Paket nach Zimmer 17, dem Büro des Lager-Adjutanten Ehrath, bringen, einem SS-Sturmführer aus München, der seinen Namen aus der Münchner Räterepublik kannte. Mühsam lieferte wie befohlen das Paket ab, drehte sich um und befand sich schon wieder an der Tür, als er kurz hintereinander zweimal seinen Namen rufen hörte. Er wandte sich um, konnte aber wegen seines schlechten Gehörs nicht gleich verstehen, was der SS-Mann von ihm wollte. Beim Wiederholen hörte er die Worte, die sein Todesurteil waren: „Mir gehm dir 48 Stunden Zeit, di umzubringen, und wann’s du’s dann net tuäst, wer’n ma scho nachhelfen.“ Mühsam sagte zu einigen Mithäftlingen: „Was auch passiert, die werden nicht erleben, dass ich mir selbst das Leben nehme.“ Nach dem Abendessen ging er allein auf dem Hof umher.
Kurz vor der Schlafenszeit erhielt er den zweiten ungewöhnlichen Auftrag dieses Tages: Er sollte eine SS-Uniform und ein Paar Schaftstiefel reinigen. Beim Nachtappell war er nicht anwesend. Häftlinge sahen in der Nacht das Licht auf dem Hof zweimal an- und ausgehen. Am Morgen fand man Erich Mühsam im vorletzten Abteil des Klosetthauses an einem Balken erhängt. Ein Häftling berichtete später, dass der Knoten so kunstvoll geknüpft war, wie es Mühsam, der kaum die Schuhsenkel zuschnüren konnte, niemals fertiggebracht hätte. Sein Zwicker lag auf dem Betonboden, seine Fäuste waren geballt, und die Füße berührten den Klosettdeckel. Die SS hatte ihn ermordet.
Am 16. Juli wurde der Leichnam auf dem Waldfriedhof Dahlem zur letzten Ruhe gebettet. Trotz des NS-Terrors fanden sich 20 Menschen die Erich Mühsam das letzte Geleit gaben. Zenzl Mühsam selbst nahm nicht an der Beerdigung teil. Sie überquerte an diesem Tag illegal die Grenze zur Tschechoslowakei.
www.muehsam-in-oranienburg.info