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19.06.2019

Deutsch-Israelischer Autor warnt vor neuem Antisemitismus

Bewegender Besuch aus Israel in Oranienburg: Arye Sharuz Shalicar, einst aufgewachsen im Berliner Wedding und heute Berater im israelischen Außenministerium, stellte am 19. Juni vor Schülern des Oberstufenzentrums und bei einer Lesung in der Stadtbibliothek sein Buch »Der neu-deutsche Antisemit – Gehören Juden heute zu Deutschland?« vor.

Dabei berichtete der ehemalige Graffiti-Sprayer und Rapper sehr plastisch seine unglaubliche Geschichte: Wie er als Kind iranischer Eltern mit – nicht einmal praktiziertem – jüdischem Glauben im Wedding Zielscheibe von knallhartem Judenhass wurde und sich, schon zum Selbstschutz, einer Gang anschloss. Um dem durchaus kriminellen Milieu zu entkommen ging er dann als junger Erwachsener schließlich nach Israel, studierte, baute sich ein neues Leben auf, war dann jahrelang einer der Sprecher der israelischen Armee und ist heute im israelischen Außenministerium tätig.

Doch die Verhältnisse in Deutschland lassen ihn nicht los, Deutsch ist nach wie vor seine erste Sprache (und die seiner Kinder) und so nimmt er immer wieder Stellung zum hier wieder anwachsenden Antisemitismus, wenn Juden im Land der einstigen Täter wieder auf offener Straße beschimpft und geschlagen werden, weil sie sich – z. B. mit einer Kippa, der jüdischen Kopfbedeckung – zu erkennen geben. Jüdische Teilnehmer der Lesung bestätigten: Juden haben in Deutschland oft wieder Angst, auch Angst um die Zukunft ihrer Kinder.

Antisemitische Stimmungen sind auf dem Vormarsch. Heute sind sie oft bei Migranten mit muslimischem Hintergrund zu finden, so wie Shalicar es auch erleben musste, aber auch unter Deutschen ohne Migrationshintergrund sind antisemitische Ressentiments sehr lebendig. Heute tarnt sich moderner Antisemitismus gerne als »Israel-Kritik« – man habe ja nichts gegen Juden, aber der Zionismus ( = die jüdische Nationalbewegung seit dem späten 19. Jahrhundert, die zur Gründung des jüdischen Staates führte) und Israel ... Unterschwellig und schleichend bis ganz offen werde permanent Kritik an Israel geübt, Israel als Agressor und Schuldiger an allem Unglück im Nahen Osten (und darüber hinaus) präsentiert, die tatsächlichen Verhältnisse oft auf den Kopf gestellt – und viele Menschen nehmen dies für bare Münze. Was soll man auch denken, wenn immer zuerst die militärischen Reaktionen Israels in dramatischen Bildern um die Welt gehen, der vorherige ständige Raketenbeschuss aus von Israel seit fast 20 Jahren geräumten Gebieten unerwähnt oder erst an zweiter Stelle gezeigt wird. Eine schleichende Delegitimation Israels.

Doch der winzige und einzige jüdische Staat der Welt, in dem Juden eben frei von Antisemitismus leben können, ist umgeben von schwer bewaffneten Kräften, deren erklärtes Ziel seine Auslöschung ist. Schwäche könne man sich da nur bei Gefahr des eigenen Untergangs leisten, beschreibt Shalicar die Situation seiner neuen Heimat, die im Grunde identisch mit der seiner Jugend im Wedding sei – auch hier wäre Schwäche für ihn der Untergang gewesen.

Shalicar will nicht schweigen, will Jugendlichen in Deutschland Mut machen, sich mit diesem wichtigen Thema auseinanderzusetzen, unterschwellige antisemitische Mechanismen will er offenlegen. Das ist ihm mit seiner offenen, unkomplizierten und authentischen Art auch bei seinem Publikum im Georg-Mendheim-Oberstufenzentrum in Oranienburg durchaus gelungen. Es gehe nicht mehr um Schuld, die habe die junge Generation nicht, aber um Verantwortung dafür, dass in Deutschland alle Menschen angstfrei und friedlich miteinander leben können – auch und gerade die Juden im Land der einstigen Täter.

Auch Oranienburgs Bürgermeister Alexander Laesicke traf sich mit Shalicar und unterstützt sein Anliegen. Er sieht die große Verantwortung einer Stadt, aus der heraus einst die Konzentrationslager der Nazis und letztlich der Massenmord an den Juden verwaltet wurde. Erst Anfang Mai war er mit 200 Oranienburger Schülerinnen und Schülern als erste große nicht-jüdische Delegation beim »Marsch der Lebenden« in Auschwitz. Doch persönlich habe er sich vorgenommen, bei den Worten Juden und Israel nicht nur an den Holocaust zu denken, sondern an Menschen im Hier und Jetzt, an Freunde. Ihm persönlich sei das gelungen, das wünsche er auch allen anderen. Gemeinsam mit der mitveranstaltenden Deutsch-Israelischen Gesellschaft, die den Kontakt zu Shalicar vermittelt hatte, plant er darum weitere Veranstaltungen zu und Kontakte nach Israel, um das gegenseitige Verständnis und Freundschaften zu fördern.

 

Die Veranstaltung war eine Kooperation der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Berlin-Brandenburg und der Konrad-Adenauer-Stiftung.

 

Zeitungsartikel

 

Das Buch

»Der neu-deutsche Antisemit« ist bei Hentrich & Hentrich erschienen:

 

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